Nachruf Antje Landshoff-Ellermann
"Die Frau mit dem großen Herzen"
„Man kann leben, ohne ein einziges Mal
gefragt zu haben, was Leben ist und was Tod.“
Gustave Flaubert
Am 16.9.2025. verstarb unerwartet in Berlin unsere Inspiratorin, Ratgeberin, Mäzenin, Kuratorin und Freundin, die Verlegerin und Galeristin Antje Landshoff-Ellermann.
So wie sie als femme des lettres wie ein Sturm durch die Literatur- und Theaterszene stürmte, ist sie auch verschwunden, ohne lange Ankündigung, einfach weg. Und so hatten wir uns auch kennengelernt, im Dezember 1998 im Logensaal der Kammerspiele bei der Premierenfeier zu „Gesäubert“ von Sarah Kane, als der Regisseur Peter Zadek mit einer Bierbank einfach umfiel. Als ich dann einen Stuhl hinter einem Vorhang hervorzauberte, kam eine zierliche Dame im besten Alter auf mich zu und meinte, in der ihr eigenen, bestimmenden Art: „Wir kennen uns nicht, aber das sollten wir ändern.“ Das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, die schon sehr bald über den konkreten Anlass Peter Zadek hinausging.
Zadek, die sicher wichtigste Beziehung in ihrem Leben, beruflich wie auch lange Zeit privat, hatte Antje, die sich in der Zeit in der Münchner Boheme bewegte, Anfang der 70er Jahre dort kennengelernt. Eingestiegen in den Verlag ihres Vaters, hatte sie als eines ihrer ersten eigenen Projekte Flauberts „Tagebuch eines Verrückten“ übersetzt und rausgebracht, was im Nachhinein ein bisschen wie ein Lebensmotto klingen könnte.
In ihrer großen Wohnung in der Werneckestraße war sie Anlaufpunkt der Gruppe um Rainer Werner Fassbinder, Hanna Schygulla wohnte bei ihr. Ihre burschikose, offene Art muss Zadek tief beeindruckt haben, jedenfalls so, dass er in seinen Lebenserinnerungen Jahre später schreibt: „Sie sah toll aus, hatte eine overtop-Figur, die sie auch gerne zeigte. Sie war ein Typ Frau, vor dem ich eher Angst hatte.“ Sie, die damals bei der Männerzeitschrift „M“ arbeitete und Zadek wurden heimlich ein Paar.
Und Antje verführt den musikalisch eher in der Pop-, Rock- und Irish-Folk-Musik bewanderten Zadek dazu klassische Musik zu hören. Sie war das zweite Kind des Hamburger Verlegers Heinrich Ellermann und der Schweizer Malerin Irmgard Ellermann-Coninx, kam aus einem hochgebildeten und auch sehr vermögenden Elternhaus. Ihr älterer Bruder Jens wurde ein bedeutender Geigenpädagoge. Der Familiensitz war damals ein Almödhof in der Nähe von Wangen im Allgäu.
Bei unserem letzten Treffen vor gut einem Monat hat mir Antje nochmal ihren morgendlichen Schulweg von Missen nach Leupolz gezeigt, wo sich auf dem Friedhof auch das Familiengrab befindet. Sie musste durch einen dichten Wald, an einem funkelnden kleinen See vorbei. Im Winter bei Eis und Schnee immer in der Dunkelheit. „Hier habe ich meine Angst verloren.“ Diese Angstlosigkeit hat ihr zeitlebens eine ungeheure Freiheit verschafft.
Durch längere Internatsaufenthalte in Holzminden und am Chiemsee, wo sie Nike Wagner kennenlernte, die Tochter Wieland Wagners, die sie gleich in den Wagner-Clan einführte, worauf Antje nun jeden Sommer im Hause Wieland Wagners die Festspielzeit über kochte, wurden wohl die Wurzeln ihrer Heimatlosigkeit gelegt. Bis zu ihrem Tod konnte sie eigentlich nirgends länger bleiben, pendelte manchmal ruhelos zwischen ihren Wohnungen und Häusern in München, Berlin, Hamburg, London, Missen und Südfrankreich und war eigentlich immer auf dem Absprung. Als Kosmopolitin war sie überall und nirgends zu Hause.
Ich kenne wenige Menschen, die so mehrgleisig – das Wort Multi-Tasking war noch nicht erfunden und für Antje hätte man es damals schon einführen müssen – ihr Leben denken, planen und dann auch durchziehen können.
1972 ging sie mit Zadek nach Bochum als seine Dramaturgin, Presse- und PR-Frau und übernahm nur ein Jahr später den Rogner- und Bernhard-Verlag, den sie von München nach Hamburg holte und den sie – sicher nicht alleine – auch durch die Verbindung zu dem Vertrieb und die Läden von 2001 zu einem kommerziell sehr erfolgreichen Unternehmen machte.
Gleichzeitig war sie „Mein Wesen“, wie Zadek sie nannte. „Sie machte alles für mich“, beschreibt er diese Zeit in die „Heißen Jahre“ und bewunderte ihre „enorme Wirkung auf das Ensemble. Sie konnte auch gut mit den Leuten vom Kulturamt. Sie hatte immer den richtigen Ton, sie konnte, ohne Rückfrage bei mir, Entscheidungen treffen, war lustig, sexy, hat auch mich beschützt, sie konnte mit allen und alle, die Probleme hatten, wandten sich an sie.“ Zadek beschreibt damit Eigenschaften und Fähigkeiten, die sich Antje Ellermann zeitlebens bewahrt hat.
Liebe Antje, aus jedem Gespräch mit Dir, ging man beschenkt und Du hast immer gleich gut zugehört, egal ob Zadek, Cees Nooteboom oder Christoph Eschenbach Dir gegenübersaß oder einfach die Käserin auf Deinem Allgäuer Hof. Du hast immer alle gleich ernst genommen und konntest mühelos eine Situation des absoluten Vertrauens herstellen.
Und dabei hatte sie immer auch ein großes Verständnis für menschliche Schwächen. Dass die Fotografin, mit der sie schon Zadek teilen musste, auch noch ein Verhältnis mit dem Mann, den sie inzwischen geheiratet hatte, anfing, hat sie zwar gestört, aber nicht daran gehindert, ihr später zu helfen, als sie in existenzielle Nöte kam. Aus dieser Verbindung stammt auch ihre einzige Tochter Saskia, die ihr zwei heiß geliebte Enkel schenkte.
Als Antje 1974 Bochum verließ, um sich wieder mehr ihrem Verlag zu widmen, notiert Zadek, „hat alles nicht mehr so viel Spaß gemacht“. Aber auch hier war es enorm, was sie auf den Weg gebracht hat. Als erstes Stadttheater traute man sich in Bochum, das klassische Zuschauer-Abonnement aufzulösen. Und Antje Ellermann organisierte das. Sie stellte kleine Buden auf, in denen man Scheckhefte mit Bons für eine freie Wahlmiete erwerben konnte und bekam für die Steigerung der Abonnentenzahl auf schließlich fast 20.000 den Spitznamen „Wahlmietenfee“ und für die Erfindung eines Sitterdienstes für Kinder, Tiere und Taxis hieß sie hausintern nur die „schnelle Elli“.
Du warst mit Deiner nie nachlassenden Neugier immer offen für neue Ideen, ob als Brauereibesitzerin in Bayern oder als Inhaberin einer marokkanischen Kachelmanufaktur bis hin zu der Zadek-My-Way-Unternehmung, einer privaten Theaterakademie auf dem Land in Brandenburg. Nicht alles hat immer funktioniert, aber der Versuch hat Dich oft mehr interessiert als das Ergebnis.
Gemeinschaft stiften war sicher eine Deiner Hauptfähigkeiten, auch außerhalb des Theaters, der Literaturszene. Legendär sind Deine ausschweifenden Geburtstagsfeste, an immer anderen Orten, bei denen Du Menschen zusammengebracht hast, die sich nie begegnet wären. Und Du warst immer das Zentrum. Dein Freund Fritz J. Raddatz widmet in seinen Tagebüchern ganze Passagen nur Deinen Festen.
Jetzt, wo Du fehlst, kapiert man, dass Du ein Stützpfeiler warst in der Gesellschaft, und jetzt, wo er rausgerissen wird, ahnt man, welche Einsturzgefahren das mit sich bringt. Solche Menschen, die, wie Du, die Gemeinschaft wie Kitt zusammenhalten, gibt es immer weniger. Du warst ein analoger empathischer Solitär in einer Welt von Egoshootern. Du hattest „Netzwerken“ schon erfunden, lange bevor es das Wort gab. Du warst das „Netz“. Gelebte Freundschaften waren für Dich wie ein Lebensmittel. „Ich bin ein Glückskind“, hast Du einmal gesagt, „weil so viele wunderbare Menschen um mich herum sind“. In den letzten Tagen habe ich mit vielen, die Dich kannten, gesprochen und sie wirkten ein bisschen hilflos, wie Schafe plötzlich ohne ihre Hirtin.
Oft war es ein Hauskonzert oder ein Essen, das die Menschen zusammenbrachte. Und meist hast Du auch selbst gekocht, natürlich ohne Rezept, am liebsten Wild, besonders gerne Hirsch oder Reh. Wie bei unserem letzten Treffen vor knapp einem Monat in Missen, als wir in größerer Runde wie Gorkis Sommergäste an Deinem Tisch saßen, nicht ahnend, wie schnell der Winter kommen würde.
Was für ein Vergnügen war es, mit Dir zu reisen, gemeinsam Dinge zu sehen, Ausstellungen, Städte, Landschaften, Theateraufführungen. Du warst eine strenge und unbestechliche Beobachterin, die sich immer einen ganz eigenen Geschmack bewahrt hat. Egal, wie gut man mit Dir befreundet war, das änderte nichts an der Strenge des Urteils, das aber durchaus auch sehr positiv oder euphorisch sein konnte.
In der neuen Theaterwelt, in der Schauspieler immer weniger eine Rolle spielen, hast Du Dich nicht mehr so ausgekannt. Deine Welt waren Angela Winkler, Eva Mattes, Uli Wildgruber, Hermann Lause, also im Kern die Zadek-Familie, zu der Du Mitte der 80er Jahre nochmal zurückgekehrt bist, als Pressesprecherin ans Schauspielhaus, wo Du als femme des lettres Dir auch noch den Traum erfüllen konntest, Theater und Literatur zusammenzuführen, mit den legendären, bei Rowohlt erschienenen Programmbüchern. Und Du bist Zadek im wahrsten Sinne des Wortes bis zu seinem Ende treu geblieben, als Du im Sommer 2009 einen Krankenwagen organisiert und den Schwerkranken die 1400 km von Lucca bis nach Hamburg begleitet hast.
Diese Treue hast Du in vielen Freundschaften bewiesen. Wenn man einmal Dein Herz erobert hatte, hatte man da immer einen Platz. „Die Frau mit dem großen Herzen“, bist Du oft genannt worden, weil Du viele Menschen, die in Not geraten waren, egal ob Schriftsteller oder Schauspieler, Musiker oder Fotografen, unterstützt hast. Und in jeder Deiner Immobilien war immer Platz für Flüchtlinge und Menschen, die eigentlich kein Geld für die Miete hatten. Das war Dir ganz wichtig und darüber hast Du, ganz hanseatisch, nie viel geredet.
Ich bedauere sehr, dass Du, der wie ein wandelndes Lexikon der jüngeren Literatur- und Theatergeschichte war, also eine überaus profunde Zeitzeugin, diesen Schatz nie zu Papier gebracht hast. Aber das wolltest Du nicht, auch nicht, ihn in eine Kamera oder auf Band sprechen. Du fandest Dich selbst dazu nicht wichtig genug. Jetzt hast Du diesen Schatz einfach mitgenommen.
Wenn es jemand gab, der die Leichtigkeit des Seins leben konnte, warst Du das mit Deinem feinen Humor, Deinem ansteckenden Lachen. Ein Gesamtkunstwerk in der seltenen Kategorie „Lebenskunst“. Dass das jetzt ein für alle Mal verschwunden sein soll, mag ich immer noch nicht glauben, denn wir waren doch verabredet, letzten Dienstag, wie immer bei Otto im „Vienna“, einem Deiner Lieblingsrestaurants, die Du natürlich in Krisenzeiten auch unterstützt hast, nach dem Motto: Hilfe zur Selbsthilfe – einfach nur Geld geben war Deine Sache nicht.
Wir wollten doch wieder an Deinem Lieblingstisch im Fenster vor dem Tresen sitzen und reden über das Leben und unser Theater auf St. Pauli. Du wärst wieder vor mir da gewesen und hättest schon Deinen Lieblingsweißwein bestellt, den nicht zu trockenen und mich beim Reinkommen mit Deiner rauen Stimme gefragt: „Was willst Du essen?“. Aber Du warst nicht da. Zum ersten Mal.
Deine Kraft war aufgebraucht und ehrlicherweise muss man sagen, dass Du Deinem Körper nicht immer der beste Bodyguard warst. Aber mit Deiner ungeheuren Energie und Disziplin, Deinem Hunger nach Leben – der Dich in jungen Jahren, als Dir wegen Deiner schwachen Lunge nur eine kurze Lebenszeit prophezeit wurde, einen jungen Bayreuther Arzt hat heiraten lassen, quasi als Lebensversicherung – hast Du diesen kritischen Punkt immer wieder rausgeschoben, bist immer wieder aufgestanden, nach den vielen gesundheitlichen Niederschlägen in der letzten Zeit. Bei diesem letzten Tanz wurde Dir, die so gerne selbst geführt hat, dann die Führung aus der Hand genommen. Jetzt kehrst Du zurück nach Missen.
Dein Freund Niko Hansen, Dein langjähriger Partner im Rogner- und Bernhard-Verlag, hat über Dich zum 75. Geburtstag gesagt: „Antje hat eine einzigartige Gabe zur Freundschaft – nicht nur als Helferin oder Ratgeberin, sondern als eine, deren bloße Präsenz in der Welt einem die Einsamkeit, das Alleinsein vertreibt.“
Schöner kann man Dich nicht beschreiben. Du, der Du für viele schon im Diesseits ein Schutzengel warst, bleib es für uns und Deine Familie auch vom Jenseits. Und da ich mir den Himmel als große lange Tafel vorstelle, an der all die sitzen, die immer guten Wein getrunken haben: Danke Antje, danke für alles. Geh schon mal vor und mach die Flaschen auf. Wir kommen nach.
Tschüß
Ulrich Waller
Antje Landshoff-Ellermann 1940 – 2025